|  | Meineid
                des Hippokrates Die historischen
                Hintergründe
 
 Hippokrates von Kos
                (um 460 v. Chr.), einer der berühmtesten Ärzte
                des antiken Griechenlands und Urvater der Ärzte,
                war der Begründer und Wegbereiter der
                wissenschaftlichen Medizin. In der
                Medizingeschichte wird er dafür angesehen, die
                religiös oder schamanistischen Heilbestrebungen
                des Asklepios-Kultes zur medizinischen
                Wissenschaft erhoben zu haben. In seiner von ihm
                geleiteten Ärzteschule auf der Insel Kos in
                Griechenland, lehrte er nicht nur seine
                Ansichten, sondern  den Anforderungen einer
                neuen Zeit, in der Medizin nicht nur eine
                ethische Geste der Gesellschaft sein sollte,
                sondern eben auch die Suche nach Möglichkeiten
                der Heilung oder Linderung von Krankheiten, der
                Beweisführung von Krankheitsentstehung (Genese)
                und wirksamer Behandlung (Therapie), also einer
                Medizinwissenschaft, die auch auf Forschung und
                normgerechter Einflussnahme der Ärzte angewiesen
                war. Lege artis, was so viel bedeutet wie nach
                ärztlicher Kunst arbeiten, braucht zu aller erst
                eine verbindliche Diagnose- und
                Therapievorschrift. Hippokrates mit seiner
                Ärzteschule wollte genau dies durch genaue
                Fallbeobachtung erreichen. Er dokumentierte
                Patientenfälle, verglich Therapieergebnisse und
                schlug verbindliche Heilstrategien vor. Seine
                Niederschriften sind im Corpus
                Hippokraticum erhalten
                geblieben. Eine Vorgehensweise die auch heute
                noch in der wissenschaftlichen Medizin hoch
                geachtet und respektiert wird. Seine Schule
                lehrte aber auch traditionelle Methoden, die auf
                den Grundlagen des Asklepios-Kultes in
                Griechenland hohes Ansehen genossen. Dazu
                gehörte der Heilschlaf im sogenannten Abaton,
                einem heiligen Ort, meistens in einem Hain, in
                dem der Heilsuchende selbst mit dem Heilgott
                Asklepios in Verbindung treten konnte.
                Hippokrates erwartete
                von einem Arzt körperliche und geistige Hygiene,
                persönliche Integrität, Empathie und
                analytisches Denken. Sowohl der Asklepios-Kult,
                als auch die neuen wissenschaftlichen Bestrebung
                der hippokratischen Lehre und seiner Schüler
                existierten noch Jahrhunderte nebeneinander, ja
                man kann sagen sie sind noch heute erhalten. Denn
                Medizin ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch
                die Beachtung der gesamten, sozialen Struktur
                jedes einzelnen im Zusammenhang mit seinem
                Lebensplan und Wunschwohl, was zum modernen
                Begriff einer Evidenzbasierten Medizin (EBM)
                wird. 
                Verständlicherweise,
                wenn man Leitlinien und wissenschaftliches Denken
                in der Medizin, auch zum Wohle der anvertrauten
                Patienten etablieren möchte, braucht man nicht
                nur einen "wissenschaftlichen
                Leitfaden" sondern auch einen
                gesamtorganisatorischen- der nun entstehenden
                Ärzteschaft. So wurde der Eid des Hippokrates im
                alten Griechenland geboren, der den Ärzten ein
                Regelwerk sein sollte, um ihre Arbeit auch
                rechtlich-ethisch entsprechend auszuführen. Wie
                heute war es notwendig, je mehr der Mensch selbst
                Entscheidender ist, um so mehr Verantwortung
                liegt gerade auf denen, die von Berufs wegen
                Entscheidungen für andere treffen müssen. Der
                Eid des Hippokrates ist von Einflüssen des
                Asklepiadenkultes geprägt, trägt aber auch
                schon Grundsätze der neuen hippokratischen Ära
                in der Medizin. 
                
                Griechischer
                Originaltext :
                
                „  Ich schwöre und rufe
                Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygeia und
                Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu
                Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag
                nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht
                erfüllen werde.
                Ich werde den, der
                mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen
                Eltern achten, ihn an meinem Unterricht
                teilnehmen lassen, ihm wenn er in Not gerät, von
                dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich
                meinen Brüdern halten und sie diese Kunst
                lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne
                Entgelt und Vertrag. Und ich werde an
                Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen
                Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers
                und die vertraglich verpflichteten und nach der
                ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen
                lassen, sonst aber niemanden.
                Ich werde
                ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der
                Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil,
                hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden
                und in unrechter Weise anzuwenden.
                Auch werde ich
                niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht
                wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch
                niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner
                Frau ein Abtreibungsmittel geben.
                Rein und fromm
                werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.
                Ich werde nicht
                schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern
                werde das den Männern überlassen, die dieses
                Handwerk ausüben.
                In alle Häuser,
                in die ich komme, werde ich zum Nutzen der
                Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten
                Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem
                geschlechtlichen Missbrauch an Frauen und
                Männern, Freien und Sklaven.
                Was ich bei der
                Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im
                Umgange mit Menschen sehe und höre, das man
                nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen
                und als Geheimnis bewahren.
                Wenn ich diesen
                Eid erfülle und nicht breche, so sei mir
                beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst
                voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen
                Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn
                aber übertrete und breche, so geschehe mir das
                Gegenteil.
                
                Vom Eid zum
                Schutzbrief der Ärzte
                
                Der Hippokratische Eid
                wie er später genannt wurde, ist wahrscheinlich
                viel später entstanden als Hippokrates noch
                lebte. Das Bedürfnis der Ärzte nach
                Rechtssicherheit, Gemeinschaftssinn und
                Kollegialität, Altersvorsorge, Standes- und
                Wettbewerbsrecht und nicht zuletzt der auch nach
                einem Freibrief für etwaige Verfehlungen, waren
                Grundlage für die Entstehung des Eides. Man muss
                bedenken, der Arztberuf gehörte damals nicht zu
                den angesehendsten Berufen, sondern war z.B. im
                alten Rom, wo viele griechische Ärzte
                arbeiteten, eine ungeachtete, von oftmals
                unfreien Menschen ausgeführte Tätigkeit. 
                Verständlich daher
                der Wunsch nach Absicherung von Rechten und
                Privilegien und der Vorsorge für Straffreiheit
                und Ansehen. So entwickelte sich der
                Hippokratische Eid über die Jahrhunderte zu
                einem Schutzeid der Ärzte mit den Folgen von
                Selbstüberschätzung, Berufsdünkel und
                gesellschaftlicher Machtpolitik. Aus der näheren
                Vergangenheit ist die Stellung der Ärzte in der
                NS-Zeit in Deutschland ein Mahnmal. Auch das
                sozialistische Gesundheitswesen der ehemaligen
                DDR, ist Beispiel für die Ausnutzung ärztlichen
                Handelns im Sinne ideologisch motivierter Zwecke.
                
                
                Vom Hippokratischen
                Eid zum Meineid (Falscheid)
                
                Julius Hackethal hat
                in seinem "Meineid des Hippokrates"
                (Lübbe 1992) diesen Eid, nach Art eines
                ärztlichen Geheimbundes zum eigenen Vorteil,
                stark kritisiert und als Meineid bezeichnet. Denn der Sinn dieses Textes erschließt sich ja nicht nur aus
                dem was geschrieben wurde, sondern eben erst
                recht für wen und warum er verfasst worden ist.
                Der Hippokratische Eid ist ein Arzteid, ein Eid
                der vor allem die Rechte der Ärzte schützt. Und
                das macht er, in dem er scheinbar für
                Patientenrechte eintritt. Deshalb schreibt
                Hackethal: Zit.>: "Der Eid des
                Hippokrates ist ein Meineid gegen die
                Patienten...In keinem vergleichbaren
                Berufsgelöbnis werden materielle Zielsetzungen
                so unverhohlen beschworen, wobei es in keinem
                anderen Fall gelungen ist, ein gutgläubiges
                Publikum auf so pharisäische Weise über die
                wahren Zwecke hinwegzutäuschen. Die Täuschung
                beginnt damit, dass Hippokrates, der bekannteste
                und wohl auch der verdienstvollste Arzt im alten
                Griechenland, einer der größten Ärzte der
                Weltgeschichte überhaupt, wahrheitswidrig zum
                Vater des Eides erklärt wird. Es gibt keinen
                einzigen Beweis dafür, dass Hippokrates den Eid
                verfasst hat. Die meisten
                Medizingeschichtsforscher stimmen in dem Urteil
                überein, dass der Eid nicht von dem griechischen
                Arzt stammen kann." Hackethals Kritik
                richtet sich also nicht generell gegen den Eid
                als solcher oder gar gegen Hippokrates als Vater
                der modernen Medizin, sondern gegen den Sinn und
                Zweck den man damit versuchte und noch immer
                versucht zu verfolgen - die Allmacht der Ärzte
                zu stärken. 
                
                Und wie ist das
                heute ?
                
                Die Allmacht der
                Ärzte ist zwiespältig geworden. Auf der einen
                Seite müssen immer mehr Ärzte für mehr Rechte
                in ihrem Beruf eintreten, weil die Arbeits- und
                Lebensbedingung und die damit verbundene
                Qualität für den Patienten in der Medizin sich
                von Jahr zu Jahr mehr zu verschlechtern droht,
                auf der anderen Seite steht die Macht eines
                profitorientierten Gesundheitswesen, was sich
                Konjunkturunternehmen Gesundheitswirtschaft
                nennt, gegenüber, und wo sich die Macht jedes
                Jahr in Milliardenprofiten ausdrückt. Dazwischen
                steht der Patient der weder ein wirkliches
                Mitspracherecht hat, noch eine Lobby.
                Gesundheitspolitik ist Machtpolitik und
                Machtpolitik ist Profitpolitik. Deshalb ist es
                notwendig - nicht weil der Hippokratische Eid an
                sich verwerflich wäre - auch einen Eid, besser
                gesagt ein Gelöbnis zu haben, was sich am
                Wunschwohl des Patienten orientiert und auch
                dessen Bedürfnisse und Rechte zeitgemäß
                wahrnehmen hilft. So entwarf Hackethal sein Humanitas-Gelöbnis, um damit dem Meineid eine
                patientengerechte Version verbindlicher
                Berufsethik entgegenzusetzen. Und die
                Kuriosität: Das Humanitas-Gelöbnis Hackethals
                ist auch für jeden Arzt und Therapeuten eine
                Möglichkeit, seine Selbstbestimmung in einer
                bürokratischen, profitorientierten
                Gesundheitswirtschaft zu erhalten, weil es den
                tatsächlichen Erfordernissen einer modernen
                Arzt-Patienten-Beziehung entspricht. Hackethal
                ist damit einmal mehr Wegbereiter für eine
                leistungsfähigere Medizin geworden, so wie schon
                sein großes Vorbild Hippokrates am Anfang
                unserer Zeitrechnung. Und das beeidet man heute:
 Genfer
                Deklaration des Weltärztebundes
 Bei meiner Aufnahme in den
                ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich:
 mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu
                stellen.
 Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung
                und Dankbarkeit erweisen.
 Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und
                Würde ausüben.
 Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes
                Gebot meines Handelns sein.
 Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch
                über den Tod des Patienten hinaus wahren.
 Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und
                die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes
                aufrechterhalten.
 Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine
                Schwestern und Brüder sein.
 Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten
                meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen
                lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung,
                Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht,
                Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit,
                Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale
                Stellung.
 Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn
                an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter
                Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in
                Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit
                anwenden.
 Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf
                meine Ehre.
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